Die Flucht aus Afrika – Teil 3
Ich kann meine Tränen kaum unterdrücken, aber heute soll der schlimmste Tag unserer Reise werden. Ein Chaos an Gefühlen und der Geburtstag eines gutherzigen Mädchens.
Die Flucht aus Afrika - Teil 3
19.03.2020
Alles begann ganz unscheinbar, denn wir hatten einen tollen Morgen!
Hier im Haus wohnten ein paar Frauen zusammen mit einigen Kindern. Alle waren sehr nett und freundlich zu uns. Wir wollten also etwas zum frühstücken kaufen und eine von Ihnen begleitete uns hinaus. Wir spazierten durch das Viertel und kauften ein paar Mandazis. Das Viertel war wie ein Labyrinth, wodurch ich nun auch verstand, warum sie uns begleiten wollte. Wir gingen durch viele enge Gassen, durch Hinterhöfe hindurch und kauften alles, was wir brauchten. Es gab zwar kein „Geschäft“ aber an jeder Ecke verkaufte jemand etwas anderes. Auf dem Heimweg fuhr ein Mann mit dem Auto vorbei und schrie der Frau, die uns begleitete, wütend etwas zu. Ich interpretierte es als: „Warum bringst du diese Leute mit Corona in unser Viertel?“ Was er tatsächlich sagte, weiß ich natürlich nicht, außer „Corona“ verstand ich nichts. Die Frau sah mich nur mit einem gequälten Lächeln an.
Wenn wir bisher noch nicht völlig von unserer Entscheidung überzeugt waren, sahen wir es nun aber erneut. Die meisten Leute sind sicherlich nicht so, aber diese wenigen reichen aus, dass man sich nicht mehr wohl fühlt!
Zurück im Haus wurden wir ins Wohnzimmer gerufen, um zu frühstücken. Auf dem Boden waren bereits Tee, Toast und Marmelade hergerichtet. Uns war nicht bewusst, dass uns auch Essen angeboten wurde. Wir teilten also auch die soeben gekauften Mandazis mit allen. Zusammen mit 5 weiteren Frauen, einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen frühstückten wird.
Das Mädchen konnte fantastisch Englisch sprechen und erzählte uns, dass heute ihr Geburtstag ist. 8 Jahre alt ist sie geworden! Ich hätte mir gewünscht, dass ich etwas dabei gehabt hätte, um es ihr zu geben. Doch in meinem Rucksack war überhaupt nichts, dass ich ihr hätte schenken könnte! Sie war so stolz und fühlte sich noch besser, als wir ihr gutes Englisch kommentierten.
Wie schon erwähnt, war es ein ganz einfaches Haus. Außer einer Couch und einem Fernsehtisch mit einem Fernseher gab es keine Möbel. Wir saßen also alle zusammen auf dem Boden und ehrlich gesagt, genoss ich es sehr! Es störte mich nicht im Geringsten, ganz im Gegenteil!
Morgen früh um 09:00 Uhr geht unser Flieger nach Mauritius. Unsere heutigen Aufgaben sind, eine Unterkunft zu suchen und uns ein bisschen zu informieren, wie wir uns vom Flughafen fortbewegen werden. Eigentlich wissen wir überhaupt nichts über Mauritius, aber das stört keineswegs.
Ich kam richtig in Urlaubsstimmung, während ich mir die tollen Unterkünfte am Strand ansah. Aufgeregt freuten wir uns sogar und fokussierten uns darauf, anstatt es zu bedauern, dass wir die Reise ändern müssen. Mauritius wir kommen!
Ich kontaktiere mehrere Airbnb Unterkünfte und Tom erledigte seine Aufgabe ebenfalls.
Mittlerweile war es bereits Mittag, als Tom mich mit einem komplett bleichem Gesicht ansah. Sofort wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ganz betroffen sagte er mit leiser Stimme: „Es gibt jetzt 3 bestätigte Fälle vom Coronavirus in Mauritius.“ Er machte eine Pause und ich wusste, was jetzt kam, aber ich wollte es nicht hören! Ich dachte nur, bitte sag es nicht, bitte lass es nicht wahr sein! Dann vervollständigte er seinen Satz: „Mauritius hat heute seine Grenzen geschlossen!“
Ich konnte es nicht glauben, öffnete sofort meine E-Mails und dort befand sich ebenfalls eine neue E-Mail der Botschaft von Mauritius. Der gleiche Herr, der mir bestätigt hatte, dass ich einreisen kann, teilte mir sein Bedauern mit, dass er diese Mitteilung heute leider zurückziehen muss. Mir stiegen die Tränen in die Augen.
Wie kann das sein?! Unser Flug ist morgen früh, wie können wir nur einen Tag zu spät sein! Alles ging so schnell und wir haben nicht mal eine Minute vertrödelt, dennoch geht nun alles schief. Innerlich fühlte ich mich so unglaublich traurig, denn ich wusste, dass es schwere Folgen für uns haben wird.
Für die kommenden 15 Tage kann niemand nach Mauritius einreisen. Danach wird die Situation geprüft und weiter entschieden. Das stand klipp und klar auf der Seite der Einwanderungsbehörde.
Wir mussten aber einen klaren Kopf bewahren und uns nicht unseren Emotionen hingeben. Tom und ich sahen uns an und waren für einige Minuten still. Ich riss mich also zusammen, eine neue Entscheidung musste getroffen werden! Wir wussten mittlerweile, dass wir nicht in Daressalam bleiben können und das wir bei der vorherigen Recherche auch keinen alternativen Ort gefunden haben.
Nun war es fast klar, dass wir die Option nehmen mussten, die wir mit aller Kraft vermeiden wollten. Tom ging hinaus, um mit seiner Familie zu telefonieren und ich tat das Gleiche. Ich sprach mit meinem Bruder, fragte nach seiner Meinung und wir gingen nochmals alle Optionen durch. Er war sehr verständnisvoll und half mir die Situation klar zu sehen. Die Antwort änderte sich aber nicht. Als Tom zurück kam, war er ebenfalls davon überzeugt, dass es nun das Beste wäre, dass wir nach Deutschland fliegen.
Es ist schwierig zu verstehen, aber ich war todtraurig! Ich wollte auf keinen Fall zurück, auf keinen Fall diesen Traum beenden und hier bleiben! Wenn ich diesen Kontinent jetzt verlasse, wer weiß, wann ich zurück kommen kann. Eins war uns aber bewusst und das meinten auch alle anderen, es muss schnell gehen! Europa schließt ebenfalls die Grenzen sowie überall anders auch! Ein Rennen gegen die Zeit begann.
Wir suchten, wie verrückt nach Flügen, um sofort heute oder morgen zu fliegen. Wir konnten es nicht riskieren hier zu stranden! Doch alle Flüge waren über 1000€ pro Person, sogar 1500€ und mit vielen Zwischenstops. Zum Vergleich, auf dem Hinweg bezahlten wir 300€.
Unsere Gastgeberin klopfte an der Tür und fragte, ob wir denn nicht mal aus unserem Zimmer kommen möchten, es gibt ein spätes Mittagessen. Obwohl ich nicht ans Essen denken konnte, wollten wir höflich sein und aßen natürlich mit allen zusammen. Es gab Reis mit Sukuma (ein grünes Blattgemüse) und die kurze Ablenkung tat richtig gut!
Weitere Stunden, in denen wir unter Hochdruck, mit Kopfschmerzen versuchten, einen vernünftigen Flug zu finden, vergingen. Gegen 19:00 Uhr geschah dann das Wunder:
Turkish Airlines: Daressalam – Istanbul – Berlin – München: 530€ p.P.
Einen kurzen Moment hielten wir Inne, denn es gab die Option morgen oder übermorgen zu fliegen. Würden wir doch nur einen Tag dranhängen, so könnten wir uns wenigstens von Tansania verabschieden, etwas einkaufen und durchatmen! Ich wollte das so sehr!! Ich kann doch nicht ohne eine einzige Sache zurück nach Deutschland kommen! Ohne das Land bewusst zu verlassen. Die Entscheidung und die letzten Tage vergingen wie im Flug und wir konnten noch überhaupt keine „Abschiedsaktivität“ machen.
Doch das Risiko war zu groß, einen stornierten Flug oder gar eine Grenzschließung in Kauf zu nehmen. Mit Mauritius sahen wir, wie schnell es ging. Es tat uns so leid, doch wir kauften schließlich das Ticket, das in wenigen Stunden, morgen früh um 08:00 Uhr ging.
Direkt danach klopfte es an unserer Zimmertür. Eine der Frauen sagte: „Heute ist der Geburtstag meiner Tochter, wir feiern im Wohnzimmer und ihr seid willkommen!“ Es passte perfekt! Ich war bereits zittrig und so konnten wir überhaupt nicht weiter nachdenken, sondern gesellten uns zu den anderen Leuten im Haus.
Im Wohnzimmer war es voll! Wir haben überhaupt nicht mitbekommen, dass sich das Haus füllte. Circa 9 Frauen und viele Kinder saßen auf dem Boden und plauderten. Alle begrüßten uns mit einem Lächeln und „Karibu“ (willkommen). Dann gab es Kuchen, Getränke und Kekse
So gerne hätte ich mit all den Kindern gespielt, was normalerweise in so einer Situation passieren würde. Aber obwohl uns alle nett anlächelten und freundlich waren, spürte man die Spannung die herrschte. Irgendwie fühlte sich niemand mit unserer Anwesenheit ganz wohl, die Nachrichten im Fernsehen über den Virus verbesserten die Stimmung auch nicht gerade.
Vielleicht übertreibe ich, aber so habe ich es wahrgenommen. Die Leute haben sich zwar freundlich verhalten, aber kein einziges Kind kam auf uns zu, welche normalweise bereits auf uns herum turnen würden.
Die Geburtstagstradition:
Zuerst mussten wir uns alle die Hände waschen und desinfizieren, danach wurde der Geburtstagskuchen angeschnitten. Das Geburtstagskind musste dann die Gäste mit einem kleinen Stückchen Kuchen füttern.
Sie ging also von Person zu Person und gab jedem ein Stück in den Mund, dabei wurden fleißig Fotos geschossen. Wir wurden ebenfalls mit eingeschlossen. Das Mädchen war dabei zuckersüß und hatte Spaß. Nun musste sie einen Gast wählen, der ihr das erste Stück Kuchen in den Mund geben durfte. Sie wählte überraschenderweise mich! Ich nahm also ein Stück und gab es ihr, während ich von Paparazzis umzingelt war.
Wir zogen uns nach einer Weile von der Feier zurück, aber waren sehr dankbar und froh am letzten Abend unserer Reise in Tansania, so eine authentische Erfahrung gemacht zu haben. Kurz bevor wir ins Bett gingen, lernen wir noch einen Mann kennen, der gerade von der Arbeit nach Hause kam. Er begrüßte uns sehr herzlich in seinem Haus und da wir ihm erzählten, warum wir Tansania verließen unterhielten wir uns kurz darüber.
Er sagte uns, dass er keine Angst vor dem Virus hat und sogar glaubt, dass es ihn in Afrika bereits gab. Nur das es eben keinen interessiert, wenn hier Menschen an einer neuen Krankheit sterben. Er sagte das alles in einem ganz ruhigen Ton und bedauerte es, dass wir gehen müssen.
Mein Kopf brummte, meine Augen waren müde und nicht mal, wenn wir noch irgendwohin fahren wollten, hätte ich es gekonnt. Es war bereits 23:00 Uhr abends und wir schliefen sofort ein.